Dass der Beckenboden eine wichtige Rolle für die Dichtheit unserer Blase spielt, haben wir alle schon einmal gehört. Leider neigt diese Muskelplatte aber dazu, mit dem Alter und der abnehmenden Östrogenproduktion an Spannkraft zu verlieren. Eine häufige Folge: Inkontinenz. Jede zweite Frau leidet in den Wechseljahren zumindest gelegentlich daran.
Aber was können wir tun, um unseren Beckenboden fit zu halten? Darüber habe ich mit Martina Lohan gesprochen. Die 56-jährige Physiotherapeutin und Heilpraktikerin hat sich auf Biomechanik spezialisiert. Seit fast 20 Jahren betreibt sie eine Privatpraxis in Berlin, in der sie schon vielen Frauen mit Inkontinenz und Beckenbodenschwäche geholfen hat. Seit kurzem bietet sie Beckenboden-Training auch als Online-Kurs an.
„Beckenbodentraining wird ganz oft falsch verstanden. Und falsch gemacht“, sagt Martina. „Mumpitz“ findet sie zum Beispiel die oft gehörte Anweisung, den Beckenboden „hochzuziehen“. Auch ich habe in der Rückbildungsgymnastik noch die „Fahrstuhlübung“ gelernt – also die Vorstellung, den Beckenboden stufenweise immer weiter nach oben zu ziehen. Aber Martina erklärt: „Der Beckenboden ist eine Muskelstruktur, die quer verläuft: von vorne nach hinten und von einer Seite zur anderen. Wenn man weiß, dass Muskulatur nur auf ihrer kürzesten Strecke arbeitet, dann kann da nichts hochziehen.“ Was bei der Fahrstuhlübung trainiert werde, sei in erster Linie die Muskulatur der inneren Scheidenwand. „Für den Beckenboden ist das eher ineffektiv.“ Im Video erklärt sie, wie der Beckenboden aufgebaut ist und wie er funktioniert.
Die Schiebetür schließen
Besser geeignet als den Aufzug findet Martina das Bild von einer Schiebetür zwischen den beiden Sitzbeinhöckern – oder von einer Fotolinse, die sich schließt. Auch dabei muss man aber aufpassen, nicht die Pomuskeln anzusteuern. „Das ist eine viel kräftiger Muskelgruppe als der eigentliche Beckenboden“, sagt sie. Und weil der Körper immer den Weg des geringsten Widerstands geht, übernehmen im Zweifelsfall die Muskeln, die sich leichter tun. Was dagegen hilft: den Po ganz bewusst anzuspannen. Das ist dann der Bereich, der nicht mitarbeiten soll.
Martina spricht auch nicht von „Beckenboden anspannen“, sondern von „aktivieren“. Statt mit voller Kraft zu arbeiten, sei es besser, eine lockere Grundspannung zu erzeugen, die man über längere Zeit halten kann. „Allein durch die Vorstellung einer Muskelarbeit passiert tatsächlich schon etwas – und genau diese minimale Aktivität brauchen wir jetzt.“ Mehr müsse es gar nicht sein: „Dann kann man gar nicht so viel falsch machen.“
Wichtig sei, überhaupt erst mal ein Bewusstsein für diese Muskelplatte zu entwickeln: sie zu orten und anzusteuern. Denn normalerweise funktioniert der Beckenboden unbewusst. Man könne sich zum Beispiel vorstellen, ein Tampon zu greifen, das man zurückhalten möchte. Oder man zögert das Wasserlassen ein oder zwei Minuten länger hinaus, wenn man auf die Toilette muss. „Natürlich nur, wenn du zu Hause bist oder eine Toilette in erreichbarer Nähe hast“, meint Martina. Gar nichts hält sie dagegen von dem Tipp, den Urinstrahl beim Wasserlassen zu unterbrechen: „Dadurch lernt die Blase, dass sie sich nicht komplett entleeren darf.“ Die Folge: Es bleibt mehr Restharn in der Blase, der einen idealen Nährboden für Bakterien darstellt.
Im Video zeigt Martina Übungen, wie du lernst, deinen Beckenboden richtig zu aktivieren – und das in den Alltag integrierst. Ihr Tipp: „Such die eine Art Trainingsstrecke, bei der du immer versuchst, den Beckenboden mit reinzunehmen.“ Das geht zum Beispiel beim Waschmaschine ausräumen, beim Zähneputzen oder Treppensteigen. „Man kann den Körper konditionieren. Am Anfang muss man bewusst darauf achten, später macht man es automatisch.“ Und genauso, wie man seinen Bizeps nur durch regelmäßiges Training stärken kann, braucht auch ein stabiler Beckenboden stete Übung.
Wie die Blase dichthält
Gute Sportarten für den Beckenboden sind laut der Physiotherapeutin vor allem Schwimmen und Wassergymnastik. „Dabei wird der Beckenboden schon mechanisch durch den Wasserdruck stimuliert“, sagt sie. Auch Fahrradfahren, Reiten, Tanzen, Yoga und Pilates empfiehlt sie gerne. Hula-Hoop-Training sieht sie ein bisschen kritisch: „Das kann den Beckenboden trainieren, wenn man es richtig macht – also das Becken bewusst nach vorne Richtung Nase kippt und die Bauchmuskeln anspannt. Wenn der Beckenboden aber schon sehr geschwächt ist, wirkt es eher kontraproduktiv.“
Für den Alltag hat Martina noch zwei sehr hilfreiche Tipps parat: „Wenn man ganz dringend zur Toilette muss und Angst hat, es nicht mehr zu schaffen, hilft es, ein imaginäres Bonbon zu lutschen.“ Dadurch soll die Blase hält besser dichthalten. Denn der Beckenboden und der Kiefer sind über Faszien verbunden, erklärt sie, und beeinflussen sich gegenseitig. Ich hab´s ausprobiert – es wirkt tatsächlich!
Tipp Nr. 2 ist für Frauen mit einer beginnenden Belastungsinkontinenz, die beim Husten oder Niesen gerne mal ein paar Tropfen Urin verlieren: Vorher aufrichten und zur Seite drehen. Dabei hilft, was wir in der Pandemie schon gelernt haben – in die Ellbogenbeuge zu niesen oder zu husten und sich abzuwenden. „Das unterbricht den Kraftarm, der auf den Beckenboden wirkt, der Druck wird also geringer.“ So braucht der Schließmuskel nicht so viel Power, um die Blase dichtzuhalten.
Dank Martinas Online-Kurs darf ich gerade mehr über den Beckenboden lernen und bin happy darüber. Leider habe ich nach der Geburt meiner Kinder die Rückbildung komplett vernachlässigt und auch danach nie etwas in Richtung Beckenboden-Übungen gemacht. Jetzt mit knapp 49 merke ich es… und bin fest entschlossen, mehr für meinen Beckenboden zu tun. Toller Artikel, Clara!
Das ist ja witzig, dass ihr euch auch kennt, liebe Jasmin. So klein ist die (social media) Welt!
Und ja, ich habe meinen Beckenboden auch lange vernachlässigt. Aber es ist nie zu spät 😉
Liebe Grüße, Clara