Was das Lipödem mit den Wechseljahren zu tun hat

Breite Hüften, „Reiterhosen“ und stämmige Beine, aber ein im Vergleich dazu schlanker Oberkörper – das sind typische Zeichen für ein Lipödem. Etwa jede zehnte Frau leidet darunter. Und muss sich deshalb häufig Kommentare anhören wie: „Du musst einfach weniger essen, dann geht das schon weg“ oder „Treib doch mal mehr Sport!“

Obwohl das Lipödem so weit verbreitet ist, wird es sehr häufig verkannt – leider auch von vielen Ärzten. Allzu oft hält man die betroffenen Frauen bestenfalls mitleidig für übergewichtig und willensschwach. Dummerweise gehört das Lipödem auch zu den Erkrankungen, die oft in den Wechseljahren schlimmer werden oder erstmals in Erscheinung treten. 

Was ist ein Lipödem überhaupt?

Um gleich mal mit ein paar Vorurteilen und Fehleinschätzungen auszuräumen: Ein Lipödem ist keineswegs „nur ein bisschen Übergewicht“. Ein Lipödem ist auch keine Flüssigkeitsansammlung im Gewebe, ein Ödem also – obwohl die Bezeichnung das vermuten lässt. Es hat (trotz des ähnlichen Namens) mit einem Lymphödem medizinisch deshalb nicht viel zu tun. Allerdings behindert ein ausgeprägtes Lipödem manchmal den Lymphabfluss, was in der Folge zu einem Lymphödem führen kann. 

Beim Lipödem handelt es sich um eine krankhafte Vermehrung des Unterhautfettgewebes. Charakteristisch sind zunehmende Fettablagerungen in der unteren Körperhälfte. Dabei bilden sich knotenartige Strukturen, die äußerlich wie starke Cellulite aussehen. Anders als bei der sogenannten Orangenhaut sind die Knoten aber sehr druckempfindlich und schmerzhaft. Zudem neigen viele Lipödem-Patientinnen zu blauen Flecken ohne ersichtlichen Grund. Anfangs betrifft die Fettverteilungsstörung vor allem die Oberschenkel, es entstehen die typischen Reiterhosen. Später nehmen auch die Unterschenkel an Umfang zu. Dadurch wirken die Beine oft wie Säulen. Bei manchen Frauen greift das Lipödem auch die Arme an. 

Woher kommt das Lipödem?

Was genau die Ursachen für ein Lipödem sind, darüber weiß die Forschung leider immer noch sehr wenig. Ziemlich sicher spielen sowohl eine erbliche Veranlagung, entzündliche Prozesse im Fettgewebe als auch hormonelle Faktoren eine Rolle. Vor allem Östrogene scheinen zur Wucherung der Fettzellen beizutragen. Das erklärt, warum praktisch ausschließlich Frauen erkranken und warum das Lipödem die typisch weibliche „Birnenfigur“ extrem verstärkt. Schuld daran sind die Hormonrezeptoren im Unterhautfettgewebe, die das Gewebe an den Hüften und Oberschenkeln unter Östrogeneinfluss schneller wachsen lassen als anderswo. Kein Wunder also, dass sich auch das Hormonchaos der Wechseljahre auf die Erkrankung auswirkt.

„Bei vielen Frauen explodiert das Lipödem in den Wechseljahren regelrecht“, sagt Tina Schwarz. Sie ist Lipödem-Coach und Ernährungsberaterin und leidet selbst seit vielen Jahren unter einem Lipödem an Armen und Beinen. Ein paar ihrer Coaching-Teilnehmerinnen hätten die Diagnose auch erst nach den Wechseljahren erhalten. „Genauso kann es auch nach einer Schwangerschaft oder durch einen Wechsel der Verhütung zu einem Schub kommen. Aber vorhersagen lässt sich das nicht.“ Ähnlich wie zu den Wechseljahren gibt es auch zum Lipödem bisher noch erschreckend wenig gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse. Deshalb weiß man auch nicht, ob, wie und unter welchen Umständen sich eine Hormontherapie auf die Erkrankung auswirkt. Bei manchen Frauen verschlimmert sich das Lipödem, bei anderen nicht.

Schlimm findet Tina, „dass so viele Frauen erst zu spät oder gar nicht erfahren, dass sie an einem Lipödem leiden, und sich durch ein Leben voller Schmerzen, Scham und Schuldzuweisungen quälen“. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass sich die meisten Hausärzte zu wenig mit der Erkrankung auskennen. Ihr Rat: „Lieber gleich zu einem Phlebologen oder Angiologen gehen. Und am besten vorher anrufen, ob das zu seinen Schwerpunkten gehört.“ 

Wie wird das Lipödem behandelt?

Die Diagnose kann einerseits eine Erleichterung sein – andererseits aber auch ein Schock. Denn heilen lässt sich das Lipödem nicht. Man kann nur versuchen, das weitere Fortschreiten der Erkrankung einzudämmen und die Symptome zu lindern. Dazu trägt bei übergewichtigen Patientinnen die Gewichtsabnahme bei, außerdem eine konsequente Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und Bewegung. Aber krankhafte Fettwucherungen, die sich einmal angesammelt haben, verschwinden nicht wieder. Sie lassen sich höchstens durch eine sogenannte Liposuktion operativ reduzieren. Unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel einem BMI unter 35)  zahlt einen solchen Eingriff sogar die Kasse.

Tina Schwarz hilft Lipödem-Patientinnen beim Umgang mit ihrer Krankheit

Bei Tina dauerte es über zehn Jahre, bis sie die richtige Diagnose und Therapie bekam. Seit ihrer Jugend, erzählt die heute 35-Jährige, habe sie unter ihren dicken Beinen gelitten, mit zwölf die erste Diät gemacht und über die Jahre eine schwere Essstörung entwickelt. Erschwerend kam bei ihr ein Typ-1-Diabetes dazu. „Obwohl ich es immer wieder geschafft habe Gewicht zu verlieren, nahm ich doch immer wieder alles zu und meist noch darüber hinaus“, erzählt sie. 110 Kilogramm zeigt die Waage schließlich. Aber Tina schafft den Absprung aus dem Teufelskreis von Diäten und Fressattacken: Nach einem Klinikaufenthalt, der Diagnose ihrer Esssucht und des Lipödems findet sie schließlich den Frieden mit sich selbst und nimmt insgesamt 35 Kilo ab. Sie macht eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin und unterstützt heute andere Lipödem-Betroffene – nicht nur beim Abnehmen und einem gesunden Essverhalten, sondern auch beim Umgang mit der Erkrankung.

Stress ist Gift fürs Lipödem

„Ich bin bei mir selbst angekommen“, sagt sie. Selbstbewusst trägt sie ihre maßangepasste flachgestrickte Kompressionsversorgung an Armen und Beinen, gerne auch in bunten Farben. Jeden Tag, auch beim Sport. „Die Kompression möchte ich nicht mehr missen. Sie erleichtert mir das Leben unheimlich. Die Schmerzen und das Druckgefühl sind dadurch fast weg.“ Sie achtet auf ihre Ernährung, meidet Milchprodukte und Fleisch, isst viel Gemüse und möglichst naturbelassene Lebensmittel. Von Verboten und Verzicht hält sie wenig. „Jede Diät verursacht Stress. Und Stress ist Gift fürs Lipödem.“ 

Sich selbst wichtig zu nehmen, gut für sich zu sorgen und sich von den Erwartungen anderer Menschen nicht unter Druck setzen zu lassen – das trägt nach Tinas Erfahrungen viel dazu bei, das Lipödem in Schach zu halten. In den Wechseljahren gilt das ganz besonders, wenn durch den Rückgang des Östrogens der körpereigene Schutzschirm gegen Stress nachlässt.

Eine Liposuktion kommt für Tina im Moment nicht in Frage – auch wenn sie manchmal darüber nachdenkt. „Es gibt schon Tage, wo mich meine dicken Arme mit den großen Hautlappen sehr stören und das Lipödem wieder mehr schmerzt. Durch die Gewichtsabnahme ist halt auch viel Haut übrig, die sich leider nicht zurückgebildet hat.“ Aber aktuell habe sie Frieden mit ihrem Körper geschlossen: „Das Lipödem ist ein Teil von mir, genau wie der Diabetes und die Essstörung. Ohne diese ‚Special Effects‘ wäre ich nicht zu dem Menschen geworden, der ich heute bin.“

Über die Auswirkungen der Wechseljahre auf das Lipödem und welche Rolle Stress, Ernährung, Bewegung und Schlaf dabei spielen, darüber sprechen Tina und ich auf ihrem YouTube-Kanal und im Podcast. Tina und ich freuen uns sehr, wenn du mal reinhörst oder -schaust! 

Und hier erfährst du mehr über Tina und ihr Lipödem-Coaching 😊

5 Gedanken zu „Was das Lipödem mit den Wechseljahren zu tun hat“

  1. Die Diagnose Lipödem, Stadium II (1,65 m, 74 kg, BMI 27) habe ich vor 8 Monaten erhalten – mit 45 Jahren, nach 30 Jahren des Hungerns, des Diätenwahnsinns, des Sport machen bis zum Umfallen. Schmerzen überall. Vor allem die Hüfte und beide Kniegelenke schmerzen so schlimm, dass ich kaum noch in die zweite Etage komme. Immer wieder habe ich Ärzt*innen darauf angesprochen, dass doch da irgendwas nicht stimmen kann. Oberkörper damals Gr. 34/36 und Unterbekleidung Gr. 40 zum Teil Gr. 42. Heute oben 38 unten 42. „Weniger essen, gesünder essen, Sport machen, Cardio, Krafttraining…“ bis zu Aussagen wie „Das ist aber alles auch immer etwas Kopfsache.“ Bis ich ENDLICH wusste, dass es nicht meine „Schuld“ ist. Denn das Schlimmste war für mich immer, dass ich das Gefühl hatte, nie genug zu machen. Trotzdem ist die Diagnose niederschmetternd gewesen, denn so kann ich nur noch hoffen, dass die Krankenkassen endlich die Kosten für die Liposuktionen zahlen. Für mich persönlich kommt es definitiv nicht in Frage, den Rest meines Lebens Kompression zu tragen und die Schmerzen, die natürlich weiterhin vorhanden sind, auszuhalten. Letztendlich möchte ich endlich einmal in meinem Leben die Beine, die sich richtig für mich anfühlen und sich nicht wie Beine anfühlen, die nicht meine sind. Und ich vermute, jede Frau mit Lipödem versteht, was ich damit meine. Ich trinke keinen Alkohol, rauche nicht, gehe schwimmen, ernähre mich antientzündlich… das sollte bei Überlegungen der Kostenübernahme berücksichtigt werden. Für Frauen in Stadium III ist es ab einem gewissen Zeitpunkt fast unmöglich, einen BMI von unter 35 zu halten, da das „kranke“ Fett weiter wächst. Auch mit Kompression. Das wird oft vergessen. Ich trage die Kompression jeden Tag, überall. Aber trotzdem wächst das Lipödemfett weiter.

    Die Liposuktionen müssen endlich von den Kassen übernommen werden, gerade auch in Stadium I und II. Eine sehr verständnisvolle Ärztin verglich die nicht vorhandene Kostenübernahme beim Lipödem in Stadium I und II folgendermaßen: Es ist ja auch nicht so, dass jemand mit einer Grippe erst dann behandelt wird, wenn sich daraus eine Lungenentzündung entwickelt hat. Und so sehe ich das mittlerweile auch. Die Krankenkassen würden so viele andere Kosten einsparen wie Kompressionsversorgung, man. Lymphdrainagen, OP-Kosten durch Folgeschäden an Hüft-/Kniegelenken.
    Bei allem positiven Zuspruch durch Coachings und Selbsthilfegruppen sollte nicht vergessen werden, dass eine dauerhafte Heilung des Lipödems NUR durch eine bzw. mehrere Liposuktionen möglich sein kann.

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    • Liebe Nicole, vielen Dank, dass du das mit uns teilst! Es ist wirklich schrecklich, wie unwissend und unsensibel viele Ärzte sind. Aber ein kleiner Hoffnungsschimmer: Ich habe neulich mit einer der Leitlinien-Autorinnen gesprochen, die sich sehr optimistisch geäußert hat, dass die Liposuktion vielleicht bald früher übernommen wird. Ich drücke dir (und allen anderen Betroffenen) die Daumen!
      Alles Gute und liebe Grüße, Clara

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