Der Ausbruch aus dem Hamsterrad

Jasmin sprüht vor Energie und vor Lebensfreude. Ihr Beruf: Happiness-Trainerin. Ihre Mission: Sie will Frauen in der Lebensmitte zeigen, wie sie ihr Leben Schritt für Schritt entschleunigen und mehr Freude hineinbringen können. Was sie dahin gebracht hat: ihr eigenes Burnout.

Vor fünf Jahren hatte die 48-Jährige mit den buntlackierten Fingernägeln einen ganz anderen Job. „Nach dem Abitur habe ich eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin gemacht. Dann bin ich in die Touristikbranche gewechselt. Ich wollte die Welt kennenlernen“, erzählt sie; auch heute noch klingt die Begeisterung aus ihrer Stimme. Als Reiseleiterin arbeitete sie, wo Menschen gerne Urlaub machen – selten länger als ein halbes Jahr am gleichen Ort. 2001 lernte sie auf Madeira ihren heutigen Lebensgefährten, einen Portugiesen, kennen. Drei Monate später zog die sprachbegabte Deutsche mit ihm an die Algarve. 

Mehr Arbeit für mehr Anerkennung

In der Haupturlaubsregion Portugals machte sie schnell Karriere: Sie übernahm die Führung eines 20-köpfigen Reiseleiterteams, war für das Wohlergehen von rund 40.000 Urlaubsgästen jährlich verantwortlich, hatte immer ein offenes Ohr für die Nöte der Urlaubsgäste und Betreuer. Bei Problemen jeder Art packte sie tatkräftig mit an. „Es kam mehr und mehr Arbeit dazu“, sagt Jasmin, „ein Nein hat mein Chef nie akzeptiert.“ Das Hamsterrad drehte sich immer schneller. Und sie übernahm bereitwillig neue Aufgaben, wollte alles richtig machen und für alle da sein. Heute weiß sie: „Das war mein typisches Muster, um Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen.“ 

Aber nicht nur beruflich war Jasmin gefordert. Quasi nebenbei bekam sie eine Tochter und einen Sohn, managte zusätzlich zum Vollzeitjob den Haushalt und die Kindererziehung. Ihre Eltern lebten in Deutschland, die ihres Mannes ebenfalls weit entfernt – auf Unterstützung konnte sie nicht zählen. „Mein Leben war strikt durchorganisiert. Ich habe nur noch funktioniert, hatte nie Zeit, irgendwann auch mal etwas für mich selber zu tun.“

Der Körper schickt Warnzeichen

Immer häufiger meldet sich ihr Körper zu Wort: schlimme Magenschmerzen, Übelkeit, Herzrasen, heftige Schwindelattacken. Sie habe eine ausgeprägte Abneigung gegen ihren Job entwickelt, erinnert sie sich, und musste auf der Fahrt ins Büro oft anhalten, um ihren Puls zu beruhigen und den Brechreiz zu bekämpfen. „In der Arbeit konnte ich mich nicht mehr konzentrieren, die Zahlen auf dem Bildschirm verschwammen vor meinen Augen. Ich habe für die einfachsten Excel-Auswertungen, die ich früher in fünf Minuten erledigt hatte, zwei Stunden gebraucht.“ 

Dass das alles eine Folge ihrer Überarbeitung sein könnte, will sie nicht wahrhaben – auch wenn Freunde und Bekannte sie immer wieder darauf hinweisen. Sie rennt von Arzt zu Arzt, lässt ihre Halswirbelsäule untersuchen, das Blut, die Schilddrüse, das Herz. Mehrmals landet sie in der Notaufnahme: Der Puls rast, aber das EKG zeigt keine Auffälligkeiten.

Panikattacke wird zum Wendepunkt

2016 kommt der Zusammenbruch: eine Panikattacke vor dem Kindergarten ihres Sohns. Schweißüberströmt sitzt sie im Auto, zittert am ganzen Körper, das Herz scheint ihr die Brust sprengen zu wollen. „Erst da hat es bei mir Klick gemacht“, sagt sie und schaudert bei der Erinnerung. Endlich ist sie bereit zu akzeptieren, dass ihre Beschwerden möglicherweise gar keine körperliche Ursache haben.

Weitere Untersuchungen folgen. Schließlich erhält sie die Diagnose Burnout, bekommt Beruhigungstabletten und wird für eine Woche krankgeschrieben. Eine Woche – eine lächerlich kurze Zeit, um sich von einer jahrelangen Überlastung zu erholen. Aber Jasmin hat verstanden, worum es geht: Sie bittet ihren Chef um ein „Downgrade“, gibt die Teamverantwortung ab und bekommt einen weniger stressigen Job als Sachbearbeiterin. „Ich habe mich gefühlt, als wäre mir ein zentnerschwerer Stein von den Schultern genommen worden“, sagt sie. 

Der lange Weg aus dem Burnout

Von da ab geht es aufwärts. Jasmin sucht sich eine Psychologin, mit der sie mit Methoden der Traumatherapie frühere Belastungen aufarbeitet, und eine private Therapeutin, die ihr unter anderem mit Reiki und NLP (Neurolinguistischer Programmierung) hilft. Sie lernt, negative Glaubenssätze und Gedankenmuster zu hinterfragen. „Außerdem habe ich mich mit Stressmanagement und Achtsamkeitstraining auseinandergesetzt. Ich habe ganz viel recherchiert und vieles ausprobiert, nach dem Prinzip Trial and Error.“ Sie macht Kurse in Yoga, Pilates, Qi Gong und Meditation. Manches lässt sie nach einiger Zeit wieder, anderes – wie Qi Gong und Pilates – empfindet sie für sich persönlich als hilfreich und behält es bei. Das Meditieren fühlte sich für sie so gut und „richtig“ an, erzählt sie, dass sie eine Ausbildung als Meditationslehrerin anschloss. Sie achtet auf gesunde Ernährung und fängt an, sich mehr zu bewegen. Mit dem gleichen Elan, den sie früher in ihre Arbeit gesteckt hat, kümmert sie sich jetzt um ihre Genesung.

Ohne professionelle Hilfe, da ist sie sich sicher, hätte sie es aber nicht geschafft. „Es braucht jemanden, der Dinge weiß, die man selber noch nicht erkennen kann. Vieles wird einem erst klar, wenn jemand an der richtigen Stelle nachbohrt.“ Unzählige kleine Schritte seien es gewesen, die sie aus dem Loch ihres Burnouts wieder hinausgeführt hatten. „Nur an einer Stellschraube zu drehen, bringt nichts.“ Als „unglaublich heilsam“ empfand sie alles, was Entschleunigung in ihr Leben brachte: alltägliche Arbeiten bewusst langsam ausführen, kleine Pausen im Büro mit Atemübungen und Gehmeditation, sich Zeit zu nehmen für eine Massage oder um einfach mal an den Strand zu gehen. „Und einfach mal nichts machen – das konnte ich vorher gar nicht. Ich hatte immer ein Handy oder ein Buch in der Hand.“

Neue Werte, neue Energie

Während der Therapie erlebt sie viele Aha-Momente und Erkenntnisse, die ihr Leben verändern. „Zum Beispiel, dass ich über meine Zeit bestimme und nicht die Zeit über mich. Dass ich alleine für mein Glück verantwortlich bin – nicht mein Mann, mein Chef oder die Gesellschaft. Und dass ich auch dann wertvoll bin, wenn ich einfach nur bin. Früher habe ich meinen eigenen Wert vor allem über Effizienz und Produktivität definiert.“ Wenn sie mit ihrer ansteckenden Lebensfreude davon erzählt, spürt man, dass diese Erkenntnisse für sie nicht nur Theorie sind: Sie lebt sie.

Es dauerte fast ein Jahr, bis sie anfängt, sich wieder wie ein „normaler Mensch“ zu fühlen, sagt sie, „schlafen, essen und arbeiten zu können, ohne permanent überfordert zu sein“. Ihre Energie kehrt zurück. Bald schon beginnt ihr Sachbearbeiterjob sie zu langweilen. Sie überlegt, was sie Sinnvolleres mit ihrem Leben anfangen könnte. „Da habe ich die Positive Psychologie für mich entdeckt.“ Der Denkansatz fasziniert sie: „Es geht nicht darum, wie man nach einer Erkrankung wieder gesund wird, sondern wie man ein glückliches Leben führt.“ Sie liest viel und vertieft sich in das Zusammenspiel von Körper, Psyche und Umwelt, in die Physiologie von Glück und Dankbarkeit.

Aber noch einmal kommt sie an ihre Belastungsgrenze: als ihr Vater in Deutschland pflegebedürftig wird. Als einziges Kind hat sie viel zu regeln, zu räumen und zu organisieren. „Ich habe gemerkt: Das übersteigt meine Kräfte.“ Sie verlässt das Touristikunternehmen, verbringt viel Zeit in ihrer alten Heimat Fürth, um ihren Eltern beizustehen. Ein halbes Jahr später stirbt ihr Vater.

Die Anleiterin zum Glücklichsein

Zurück in Portugal widmet sie sich ganz ihrer Leidenschaft für die Positive Psychologie: Sie beginnt sie eine 15-monatige Online-Ausbildung zur Happiness-Trainerin und startet 2020 mit ihrem Unternehmen Happiemotion in die Selbständigkeit. 

Aus den geplanten Glücks-Workshops für Urlaubsgäste in den Hotels wird allerdings erstmal nichts: Der Corona-Lockdown zwingt Jasmin, Kurse und Beratungen in den virtuellen Raum zu verlegen. Sie nimmt es gelassen. „Ich arbeite viel mit Online-Meetings und Sprachnachrichten. Das liegt mir. Und meine Teilnehmerinnen, die bisher alle aus Deutschland kommen, sind dadurch zeitlich und örtlich komplett flexibel.“ Sie nutzt die Zeit, um eine weitere Ausbildung zu absolvieren: Als „Tiny Habits Coach“  lernt sie, wie Menschen durch kleine Veränderungen der täglichen Gewohnheiten dauerhaft mehr Glück und Zufriedenheit in ihr Leben bringen können. Sobald es wieder möglich ist, will sie auch in ihrer Wahlheimat Portugal Seminare und „kleine Happiness-Auszeiten“ für Urlauber anbieten. „So kann ich mein altes Lieblingsthema – Gästen ein Lächeln ins Gesicht zaubern – ideal verbinden mit meinem neuen Lieblingsthema: Menschen zu mehr Lebensfreude verhelfen.“

Das Burnout, das ihr diesen Weg gewiesen hat, ist überwunden. „Aber ich weiß, dass ich vor einem Rückfall nicht gefeit bin. Die alten Muster im Kopf sind schwer loszuwerden.“ Sie achtet auf sich, nimmt sich Auszeiten für das, was ihr guttut und Kraft gibt. Zum Beispiel: „Einfach mal auf die flache Erde legen, wie es Kinder oft machen. Das erdet unheimlich und lädt die Batterien auf.“ Oder einen Baum umarmen. Ganz bewusst im Hier und Jetzt zu bleiben: „Diese Sekunde gerade eben, das ist mein Leben. Nur da kann ich glücklich sein.“ 

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Foto: privat

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