Trennen oder bleiben?

Die Wechseljahre sind eine Umbruchsphase – nicht nur unsere Hormone ordnen sich neu, sondern oft auch unser ganzes Selbstverständnis und unser Rollenbild. Nicht selten bedeutet das, dass wir unsere Beziehung auf den Prüfstand stellen: Fühlen wir uns als Paar noch miteinander wohl, wenn die Kinder flügge sind? Oder ist die Liebe, die gegenseitige Wertschätzung und Toleranz in all den Jahren abhandengekommen? Bei immerhin fast jeder fünften Scheidung waren die Ehepartner 24 Jahre oder länger verheiratet – mit steigender Tendenz.

Renate Maltry ist Fachanwältin für Familienrecht, Mediatorin und Gründerin der Beratungsstelle „Trennung und Scheidung – Frauen für Frauen“ (TuSch e. V.) in München. Für ihr ehrenamtliches Engagement und ihre juristischen Verdienste erhielt sie 2013 den Bayerischen Verdienstorden. Jetzt hat die 71-Jährige einen Ratgeber speziell für Menschen in der Lebensmitte geschrieben: „Doch noch scheiden oder weiter leiden?“ Im Interview spreche ich mit ihr über ihre langjährigen Erfahrungen mit späten Ehescheidungen.

Frau Maltry, die Frage, ob die Ehe noch eine Zukunft hat, hat sich im Verlauf einer langjährigen Beziehung wahrscheinlich fast jede Frau schon einmal gestellt. Woran merkt man, ob es besser ist, zu bleiben und auf Besserung zu hoffen – oder sich scheiden zu lassen?

Die Hoffnung auf Veränderung ist aus meiner Sicht immer falsch. Es verändert sich nichts, wenn wir uns nicht selbst verändern. Viele Frauen harren in dieser Hoffnung lange in einer Ehe aus, obwohl sie merken, dass es nicht mehr passt. Nur wenn beide Partner etwas verändern wollen und die Beziehung auf eine neue Ebene stellen, gibt es eine Chance auf Besserung.

Wann hat eine Eheberatung oder Paartherapie noch Aussicht auf Erfolg?

Solange beide an der Beziehung arbeiten wollen. Gerade, wenn die Beziehung in eine neue Phase tritt, zum Beispiel, wenn die Kinder ausziehen oder einer der Partner in Rente geht, ist es sinnvoll herauszufinden, welche ungeschriebenen Beziehungsverträge wir haben – und sie neu zu verhandeln. Die sind oft geprägt von Wertvorstellungen aus der Kindheit und der Familie. Der eine will zum Beispiel zusammenbleiben, „bis dass der Tod uns scheidet“, der andere will neue Herausforderungen suchen und etwas erleben. Unter Umständen kann eine Paartherapie aber auch bewirken, dass jeder seinen eigenen Weg geht und man zu einer gütlichen Trennung gelangt. 

Was sind die häufigsten Gründe für eine Trennung nach vielen Ehejahren?

Oft hat man sich einfach auseinandergelebt. Man merkt irgendwann, dass man sich nichts mehr zu sagen hat. Oder man streitet nur noch, weil der andere alles falsch macht. Viele Frauen sind über Jahre der Manager der Familie. Wenn die Kinder dann aus dem Haus sind, kommt das Gefühl: „Jetzt bin ich dran, jetzt will ich mein Leben führen.“ Zu dieser Selbstfindung gehört manchmal auch die Befreiung aus einer unglücklichen oder lieblosen Ehe. 

Auch eine Krankheit, zum Beispiel eine beginnende Demenz, kann der Auslöser sein, dass man vieles in Frage stellt. Und selbst im hohen Alter ist oft noch eine neue Liebe der Grund für die Trennung.

Und welche Gründe gibt es, dass viele Frauen in einer lieblosen Ehe verharren?

Oft stecken Existenzängste dahinter: mangelnde finanzielle Mittel oder die Unkenntnis über die wirtschaftliche Situation. Viele haben auch Angst davor, emotional auf sich alleine gestellt zu sein, und fühlen sich überfordert. Deshalb habe ich 1986 die Beratungsstelle TuSch in München gegründet. Wenn man nicht alles mit sich selber ausmachen muss, sondern interdisziplinäre Beratung sowie Information und soziale Unterstützung in einer Gruppe findet, macht das vieles einfacher.

Manche Frauen kommen auch nicht aus ihrer Mutterrolle raus. Sie versuchen, für die Kinder die heile Familie aufrechtzuerhalten, selbst wenn die schon erwachsen sind.

Was ist der erste wichtige Schritt, wenn man den Entschluss zur Scheidung gefasst hat?

Der erste Schritt ist die juristische Information, eine anwaltliche Erstberatung. Die kostet rund 230 Euro. Sie ist wichtig, um keine Fehler zu machen, die hinterher teuer zu stehen kommen können. Zum Beispiel muss man dem Ehepartner ein Schreiben zukommen lassen, in dem er aufgefordert wird, über sein Einkommen Auskunft zu geben. Das ist erforderlich, um den Trennungsunterhalt zu berechnen. Ansonsten kann man nachträglich kein Geld nachfordern, wenn man feststellt, dass man zu wenig bekommt.

Wichtig ist außerdem, dass man sich private Unterstützung sucht und mit Freundinnen über die Situation spricht.

Die meisten Frauen haben den Wunsch, dass die Scheidung möglichst harmonisch verläuft – gerade, wenn man gemeinsame Kinder hat. Welche Umstände bergen aus Ihrer Erfahrung das größte Sprengstoffpotenzial und wie kann man vermeiden, dass sie die Fronten verhärten?

Das größte Sprengstoffpotenzial bei späten Scheidungen birgt eine neue Partnerschaft. Da gibt es unendlich viel Verletztheit und Eifersucht. Das beeinflusst das ganze Verfahren. In dieser Situation wäre es wichtig, anders zu kommunizieren – also Ich-Botschaften zu senden, statt Vorwürfe aufeinanderprallen zu lassen. Aber das ist natürlich nicht einfach, gerade wenn die Kommunikation ein Grund für das Scheitern der Beziehung war.

Ein weiterer Grund, dass die Emotionen hochkochen, sind oft die Finanzen. Streitet man um die Aufteilung des Hausrats, geht es bei diesem Streit häufig um ganz andere Dinge, um die tiefe Verletztheit. Wenn man den Partner ausreden lassen und diese Verstrickungen entwirren kann, beruhigt sich die Stimmung oft.

Für manche Paare bedeutet der Streit auch die Aufrechterhaltung der Beziehung. Sie brauchen den Streit, weil sie noch nicht loslassen können. Oft ist das ein Signal, dass noch etwas unausgesprochen ist.

Sich nur einen Rechtsanwalt zu nehmen statt jeder einen eigenen, erscheint vielen Frauen verlockend: Es ist billiger und man will sich ja sowieso nicht streiten. Wann kann das sinnvoll sein – und wann nicht?

Einen gemeinsamen Rechtsanwalt gibt es nicht, das ist eine Mär. Jeder Anwalt vertritt die Interessen seines Mandanten. Wenn man gut miteinander reden kann, kann man versuchen, ob es eine gemeinsame Lösung mit dem Ehepartner gibt. Wenn nicht, braucht man einen eigenen Anwalt. Und auch wenn man eine gemeinsame Vereinbarung formuliert hat, sollte man die auf jeden Fall von einem eigenen Anwalt prüfen lassen. Hier muss man gut für sich selbst sorgen. Sparen ist an dieser Stelle fehl am Platz. 

Wann raten Sie zu einer Mediation?

Ich empfehle eine Mediation, wenn beide Partner bereit sind, gemeinsam eine Lösung zu finden, und offen für die Tipps einer Mediatorin sind. Eine Mediatorin ist wie ein Bergführer: Sie zeigt einen Weg – gehen muss man ihn selbst. Das funktioniert nur, wenn noch Kommunikation möglich ist. Das Ergebnis der Mediation ist dann ein Vertragsentwurf, den jeder noch einmal von einem eigenen Anwalt anschauen lassen sollte. Auch wenn die Mediatorin Anwalt ist, darf sie bei der Scheidung keinen der beiden Klienten vor Gericht vertreten.

In welchen Fällen kann es von Vorteil sein, sich zu trennen, aber verheiratet zu bleiben?  

Das kann finanzielle Vorteile haben. So bekommt beim Tod eines Ehepartners der andere meist 60 Prozent Witwenrente. Bei einer Scheidung werden die einzelnen Rentenanwartschaften, die beide während der Ehe erworben haben, zwischen den Ehegatten hälftig geteilt. Ohne Scheidung fällt die Rente des geringer Verdienenden, meistens also der Ehefrau, kleiner aus. Diesen Nachteil kann man durch die Vereinbarung eines Trennungsunterhalts ausgleichen. Wenn man da keine Einigung findet oder der andere nicht verlässlich zahlt, ist oft doch eine Scheidung die bessere Lösung.

Schließt man keinen Ehevertrag, besteht die Gefahr, dass sich die Gütertrennung nach hinten verschiebt. Lebt die Frau sparsam, während der Mann das Geld ausgibt, muss sie ihr Geld unter Umständen später noch einmal teilen. Ich rate deshalb dringend, schon bei der Trennung das Vermögen offenzulegen, gerecht zu verteilen und am besten notariell die Gütertrennung zu vereinbaren. Alternativ kann man die Vermögensverhältnisse auch selbst schriftlich festhalten und sich gegenseitig unterschreiben lassen.

Sie sind seit über 40 Jahren Anwältin. Inwieweit hat sich die Situation für Frauen bei der Scheidung nach einer langjährigen Ehe seither verändert?

Durch die Unterhaltsrechtsreform 2008 ist die Situation deutlich schlechter geworden. Es gibt keine unbegrenzte eheliche Solidarität mehr. Der Grundsatz der Eigenverantwortung steht im Vordergrund. Minderjährige Kinder in zweiter Ehe werden beim Unterhalt vorrangig vor der Ex-Ehefrau behandelt. Der sogenannte Aufstockungsunterhalt, auf den die schlechter verdienende Frau Anspruch hat, ist je nach Oberlandesgericht auf ein Drittel bis ein Viertel, der Ehezeit beschränkt. Es gibt zwar einen Anspruch auf Ausgleich eines ehebedingten Nachteils – den kann man aber nur selten nachweisen.

Wie kann man schon während der Ehe vorbauen, dass sie später nicht im Rosenkrieg endet?

Ich empfehle, in guten Zeiten einen Ehevertrag zu schließen. Das geht auch während der Ehe. Darin kann man tragfähige individuelle Regeln vereinbaren, sowohl für eine gemeinsame Zukunft als auch für den Fall einer Trennung oder Scheidung. Oft denken Paare gerade in Krisenzeiten über einen Ehevertrag nach, was sinnvoll ist.

Hilfreich ist darüber hinaus, sich über seine eigenen Beziehungsmuster klarzuwerden und auch einmal die Perspektive des Partners einzunehmen. Viele Frauen haben Schuldgefühle, wenn sie für ihre eigenen Bedürfnisse einstehen. Wir sind zwar alle in alten Rollenbildern und Verstrickungen verhaftet, die durch die Gesetzgebung seit 1900 manifestiert wurden. Vielen fällt es heute aber leichter, sich davon zu lösen. Eine psychologische Beratung kann dabei helfen, den eigenen Weg zu finden. Auch das trägt dazu bei, die Auseinandersetzung zu versachlichen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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