Was die Wechseljahre mit Politik zu tun haben

Miriam Yung Min Stein ist Kulturchefin der deutschsprachigen Harper´s Bazaar. Sie war Anfang 40, als sie Hitzewallungen, Schlafstörungen und heftigste Periodenblutungen völlig unvorbereitet erwischt haben. Darüber hat sie ein Buch geschrieben: „Die gereizte Frau – Was unsere Gesellschaft mit meinen Wechseljahren zu tun hat“ heißt es. Sie räumt darin mit Vorurteilen auf, zitiert Studien und Expertinnen und verbindet ihre persönlichen Erfahrungen mit feministischer Gesellschaftskritik. Ein äußerst interessanter Ansatz, finde ich. Entsprechend gefreut habe ich mich, sie zu einem Online-Interview treffen zu dürfen. 

Frau Stein, weshalb halten Sie die Wechseljahre für ein gesellschaftspolitisches Problem?

Statistisch wird unsere Gesellschaft immer älter, es sind also immer mehr Frauen im Klimakterium. Das hat immense Folgen auf den Arbeitsmarkt. Eine Studie hat 2018 ergeben, dass menopausaler Stress von Arbeitnehmerinnen einen Schaden von 150 Milliarden Dollar jährlich verursacht – zum Beispiel durch Krankmeldungen. Diese Frauen benötigen oft andere Arbeitsbedingungen, die ihre Beschwerden berücksichtigen. 

In Großbritannien ist man da etwas weiter: Vodafone zum Beispiel hat am Weltmenopausentag 2021 ein großes Menopausen-Paket für alle Mitarbeiterinnen vorgestellt. Dazu gehören Tischventilatoren, gleitende Arbeitszeiten und die Erlaubnis, bei Zoom-Konferenzen die Kamera auszuschalten. Was ich besonders gut finde: Es werden Menopause-Beratungen für alle Kollegen angeboten, auch für die männlichen. Denn die geht es ja genauso an. 

Das finde ich alles sehr lobenswert. Aber eigentlich wünsche ich mir, dass alle Frauen eine solche Beratung bekommen – nicht nur die Mitarbeiterinnen ausgewählter Unternehmen. Für gesetzlich Versicherte ist das in Deutschland aber gar nicht möglich. Die Wechseljahre sind keine Krankheit, deshalb können Gynäkologen die Beratung nur schwerlich und für ein kaum nennenswertes Honorar abrechnen. Zwar gibt es Wechseljahresberaterinnen und Heilpraktiker, die so etwas machen. Die muss man aber selbst bezahlen. Viele Frauen sind mit schweren Symptomen deshalb komplett alleingelassen.

Ist die mangelnde Beratung nicht auch eine Folge der fehlenden ärztlichen Ausbildung?

Auf jeden Fall. Im Medizin-Grundstudium kommt das Klimakterium praktisch nicht vor. Selbst in der Gynäkologie wird es nur beiläufig erwähnt. Der Schwerpunkt ist die Fortpflanzung. Und die Studieninhalte sind hauptsächlich von Männern entwickelt.

Ich finde es gesellschaftlich nicht verantwortbar, dass Frauen in der gesamten medizinischen Forschung marginalisiert werden. Und nach der Menopause wird es ja noch viel schlimmer – da wird gar nicht mehr geforscht. Im Unterleib der Frau gibt es noch viele weiße Flecken, die medizinisch nicht erschlossen sind. Wir müssen viel mehr Forschungsgelder in die Gynäkologie außerhalb der Fortpflanzung investieren. Es kann nicht sein, dass 50 Prozent der Menschen nicht ausreichend medizinisch versorgt werden. Diesen Diskurs müssen wir laut und in der Mitte der Gesellschaft führen.

Welchen Einfluss haben kulturelle Faktoren?

Die These, dass Asiatinnen weniger Beschwerden haben, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Es ist aber ein sehr westliches Phänomen, dass man mit diesen Problemen so alleingelassen wird. Innerhalb der Frauengemeinschaft tauscht man sich in asiatischen Kulturen viel mehr über die Symptome aus. Hier ist das vielen Frauen so peinlich, dass sie sogar lügen.

Dazu kommt, dass der Westen stark von der Jugendkultur geprägt ist. Im mittleren Alter fallen Frauen aus dem Raster, sie verlieren an Sichtbarkeit und Anerkennung. In Asien verbindet man das Alter dagegen mit Autorität und Weisheit und mit einer höheren gesellschaftlichen Position. 

Auf zum perimenopausalen Polterabend!

Bei den Recherchen für mein Buch bin ich auf ein buddhistisches Ritual in einem chinesischen Dorf gestoßen. Dort erreichen Frauen mit der Menopause eine höhere Stufe der Gebetskultur. Das feiern sie mit einem mehrtägigen Festbankett. Sie ziehen ihr Hochzeitskleid noch einmal an, probieren aber auch das Sterbehemd an. Für die Frauen ist das eine große Ehre, sie werden in die Gemeinschaft der postmenopausalen Frauen aufgenommen. Das finde ich spektakulär. Ich habe vor, so ein ähnliches Ritual zu veranstalten, meinen perimenopausalen Polterabend. Ich freue mich schon darauf! Vielleicht feiern wir ja gemeinsam?

Gute Idee! Ich bin dabei. Aber bei mir ist es vermutlich ein bisschen früher so weit als bei Ihnen.

Das macht nichts. Dann muss ich halt ein zweites Mal feiern, wenn ich meine Periode danach noch einmal bekomme. (Lacht.)

Beschäftigen wir uns generell zu spät mit dem Thema Wechseljahre?

Ich bin mit Anfang 40 in die Perimenopause gekommen und war davon völlig überrascht. Im Nachhinein ist mir klargeworden, dass auch der Schwindel, die Verstimmungen und starken PMS-Beschwerden, die ich davor hatte, Zeichen der näherkommenden Menopause waren. Es wäre ein erster Schritt der Aufklärung, zu wissen, welche Symptome mit den Wechseljahren zusammenhängen können. Das geht ja weit über Hitzewallungen hinaus. Aber auch dazu gibt es bisher nur sehr wenig Studien. 

Je mehr man über die Wechseljahre weiß, desto besser kann man reagieren. Oder vorbeugen, beispielsweise mit Ernährung und Sport. Damit kann man viel erreichen, zum Beispiel, indem man Fleisch und Industriezucker weglässt.

Was hat Ihnen persönlich gegen ihre Beschwerden geholfen?

Ernährungsumstellung und Sport haben bei mir leider nicht ausgereicht. Ich nehme bioidentische Hormone. Damit geht es mir viel besser, auch wenn die Symptome nicht völlig verschwinden. Und ich lasse meine Hormonwerte im Blut regelmäßig vom Hausarzt kontrollieren. Das ist allerdings nicht einfach: Ich muss jedes Mal diskutieren und darauf beharren – und ich muss es natürlich selbst bezahlen. Das Argument der Mediziner ist immer, dass die Hormonspiegel schwanken und kein repräsentatives Bild ergeben. Aber das ist bei Schilddrüsenhormonen genauso, auch bei Männern, und da gibt man sofort entsprechende Medikamente. Wenn Männer bluten würden wie angestochene Schweine – ich schwöre, es gäbe 1000 Behandlungsmöglichkeiten.

Je mehr wir über die Wechseljahre wissen, desto besser können wir reagieren.

Außerdem habe ich mir eine umfassende Beratung bei Sheila de Liz gegönnt, der nationalen Hormonexpertin und Bestsellerautorin in Wiesbaden. Die war auch nicht ganz billig. Ich weiß, dass ich privilegiert bin, weil ich mir das alles leisten kann. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber eigentlich sollte das für jede Frau eine selbstverständliche Kassenleistung sein.

Haben Sie den Eindruck, dass das Thema Wechseljahre in den letzten Jahren mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist?

Es gab schon einige Fortschritte – zum Beispiel die Menopausenprogramme einzelner Konzerne. Je mehr wir werden, desto lauter wird auch die politische Debatte darüber werden. Ich finde, die Periodenaktivistinnen sind ein gutes Vorbild. Sie setzen sich für ein anderes Bewusstsein in Bezug auf die Menstruationsblutung ein und haben da schon sehr viel erreicht. Das Gleiche schwebt mir für die Menopause vor. Es ist so wichtig, dass wir untereinander und auch mit Männern ohne Scham darüber sprechen. Ohne Dogmen, mit Platz für alle möglichen Meinungen. 

Wir müssen mehr über die Menopause reden – ohne Scham und ohne Dogmen.

Foto: (C) Robert Rieger

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