Ungewollter Urinverlust ist in den Wechseljahren nichts Ungewöhnliches: Mindestens jede zweite Frau leidet nach der Menopause an einer Blasenschwäche. Ein Husten- oder Lachanfall, ein Sprung über eine Pfütze oder ein Spurt zum Bus – schon landen ein paar Tropfen Urin in der Unterhose. Schuld an einer solchen Belastungsinkontinenz ist meist ein geschwächter Beckenboden, der den äußeren Schließmuskel beeinträchtigt.
Durch gezieltes Beckenbodentraining bekommen viele Frauen die beginnende Inkontinenz wieder in Griff. Aber leider reicht das nicht immer aus. Denn der Östrogenrückgang in den Wechseljahren schwächt nicht nur den Beckenboden, sondern auch die Bindegewebsstrukturen und Bänder im Bauchraum, die die Beckenorgane an ihrem Platz halten. Die Folge: Blase, Vagina, Gebärmutter und Enddarm können nach unten absinken. Auch ein solcher Deszensus (so der medizinische Fachausdruck) führt häufig zu Inkontinenzproblemen.
Symptome einer Beckenorgansenkung
„Eine Senkung der Beckenorgane spürt man nicht unbedingt, sie kann aber trotzdem den Verschluss der Blase erschweren“, sagt Beckenbodentherapeutin Barbara Lehmacher. „Wenn die Blase etwas nach unten rutscht, kann das den oberen Teil der Harnröhre aufdehnen und Urinverluste verursachen.“ Manchmal klemmt eine abgesenkte Blase oder Gebärmutter auch die Harnröhre ab – dann tritt das Gegenteil ein: Man muss ständig zur Toilette, aber es kommt kaum etwas. Mögliche andere Hinweise auf einen Deszensus sind häufige Blasenentzündungen, Probleme beim Stuhlgang, ein Fremdkörpergefühl in der Vagina oder ein unangenehmes Druckgefühl nach unten. In schweren Fällen kann die Scheidenwand oder ein Stück Enddarm nach außen treten (Vaginal- oder Rektumprolaps).
Experten schätzen, dass jede zweite Frau im Laufe ihres Lebens eine Beckenorgansenkung entwickelt. Allerdings sucht nur eine von zehn Betroffenen ärztliche Hilfe. „Am häufigsten kommt es zu einer Absenkung der vorderen Vaginalwand mit der Blase“, erläutert Barbara Lehmacher. Diesen Fall findet sie bei etwa der Hälfte der Patientinnen, die wegen Inkontinenzproblemen zu ihr kommen.

Wie kann ein Pessar bei Inkontinenz helfen?
Was viele nicht wissen: Bei einer Beckenorgansenkung ist längst nicht immer eine OP nötig. Ein kleines medizinisches Hilfsmittel, das Pessar, kann vielen Frauen mit einem Gebärmutter- oder Blasenvorfall schnell und unkompliziert helfen. Ein Pessar ist ein meist ring- oder würfelförmiges Gebilde aus flexiblem Silikon, das in die Vagina eingeführt wird. Dort stabilisiert es die Scheidenwand und stützt Blase, Gebärmutter und Enddarm in ihrer korrekten Position.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen: Die Pessartherapie kann Senkungs- und Inkontinenzbeschwerden effektiv lindern. Etwa zwei Drittel der Nutzerinnen berichten, dass sich ihre Symptome spürbar bessern. Entscheidend für die Wirkung sind der richtige Sitz und die passende Form des Pessars. Als besonders effektiv hat sich die Kombination von Pessartherapie und Beckenbodentraining erwiesen.
Was für Pessare gibt es?
Manche Pessare sehen aus wie ein Donut, andere wie ein Tampon oder Würfel. Einige haben Löcher, die das Abfließen des Vaginalsekrets erleichtern sollen. „Zur Selbstbehandlung eignet sich vor allem das Würfelpessar sehr gut“, findet Barbara Lehmacher: „Es lässt sich am leichtesten selbständig einführen und entfernen.“ Die richtige Größe zu finden, erfordert manchmal ein paar Anläufe. Ist das Pessar zu klein, rutscht es nach unten und kann seine Stützfunktion nicht erfüllen. Ist es zu groß, drückt es und behindert unter Umständen das Wasserlassen oder den Stuhlgang. „Ein gutsitzendes und passendes Pessar spürt man nicht“, betont die Beckenbodenspezialistin. Bis man die richtige Handhabung erlernt habe, brauche es am Anfang allerdings manchmal etwas Zeit.

Wie verwendet man das Pessar?
Das Pessar wird wie ein Tampon in die Scheidenöffnung eingeführt und mit dem Finger nach oben bis kurz vor den Muttermund geschoben. Leichter geht das mit etwas Gleitgel. „Nach etwas Üben reicht meist ein Befeuchten mit Wasser aus“, sagt Lehmacher.
Manche Therapeuten empfehlen, das Pessar mit einer östrogenhaltigen Creme einzuschmieren. Das kann zwar dem hormonell bedingten Abbau der Vaginalschleimhaut entgegenwirken – birgt aber das Risiko einer Überdosierung. „Ab den Wechseljahren ist die regelmäßige Anwendung von Östrogensalbe oder Zäpfchen in der Vagina wichtig“, erklärt Lehmacher. „Man sollte das aber korrekt wie auf dem Beipackzettel angegeben machen und nicht irgendwie auf dem Pessar.“
Ein Würfelpessar saugt sich an der Scheidenwand fest und kann dadurch kaum verrutschen. Zum Entfernen löst man das entstandene Vakuum mit einem Finger und zieht das Pessar mithilfe des Rückholfadens langsam heraus.
Wie lange muss man das Pessar tragen?
Viele Frauen verwenden das Pessar nur, wenn sie es brauchen – zum Beispiel beim Sport, wenn sie aus Erfahrung wissen, dass es da manchmal zu ungewolltem Urinverlust kommt.
Beckenbodentherapeutin Lehmacher rät dazu, das Pessar jeden Tag zu tragen. „Am besten setzt man das Würfelpessar am Morgen ein und entfernt es spätestens am Abend, wenn man ins Bett geht“, sagt sie. Nach etwa einem Jahr, so ihre Erfahrung, kann sich dadurch die bindegewebige Aufhängung der Organe festigen und die Senkung bessern. Andere Pessarformen kann man zum Teil auch mehrere Tage oder Wochen in der Scheide lassen. Das erhöht aber das Risiko von Nebenwirkungen (siehe unten).
Wenn das Pessar gut sitzt, vergisst man schnell, dass man es trägt. Stören kann es lediglich beim Sex – da sollte man es vorher entfernen.
Welche Nachteile kann die Pessartherapie haben?
Manche Frauen empfinden das Einführen oder Entfernen des Pessars zu Beginn als unangenehm. Das wird aber schnell zur Routine.
Eine relativ häufige Nebenwirkung der Pessartherapie ist verstärkter vaginaler Ausfluss. Solange sich Farbe und Geruch nicht verändern, ist das unbedenklich. Infektionen lassen sich vermeiden, wenn man vor dem Einsetzen und Entfernen die Hände gründlich wäscht. Nach dem Tragen sollte man das Pessar mit warmem Wasser und etwas Flüssigseife abspülen und gut trocken lassen, sagt Barbara Lehmacher: „Das Pessar muss nicht desinfiziert werden. Auch Spüli oder andere Reinigungsmittel darf man nicht verwenden.“
Passt das Pessar nicht richtig, kann es Druckstellen oder Schleimhautveränderungen in der Vagina verursachen. Wenn man es über Nacht entfernt, kommt das aber sehr selten vor. „Ich habe es in 30 Jahren noch nie erlebt“, betont die erfahrene Therapeutin. Trotzdem sollten Frauen, die regelmäßig ein Pessar benutzen, alle sechs Monate zur Kontrolle zu ihrer Frauenärztin.
Wo bekommt man Pessare?
Die Gynäkologin oder der Gynäkologe können ein Pessar als Hilfsmittel bei Inkontinenz oder anderen Senkungsbeschwerden auf Kassenrezept verordnen. Sprich das Thema einfach beim nächsten Termin an, wenn du das Gefühl hast, an einer Beckenorgansenkung zu leiden.
Pessare sind nicht verschreibungspflichtig. Du kannst sie dir auch auf eigene Faust in der Apotheke und in Online-Shops besorgen. Bei der Anpassung sollte aber auf jeden Fall eine Frauenärztin oder spezialisierte Beckenbodentherapeutin helfen. Letztere findest du zum Beispiel über die Liste der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie und Proktologie im Deutschen Verband für Physiotherapie.
Fazit
Die Pessartherapie ist eine einfache, nebenwirkungsarme und schnell wirksame Möglichkeit, Inkontinenz und andere Senkungsbeschwerden zu lindern. Für viele Frauen kann sie eine Alternative zur OP sein. Wichtig ist aber die korrekte Anpassung und regelmäßige Kontrolle durch eine Fachkraft.