„Der Krebs war das Beste, was mir passieren konnte“

„Ich bin viel stärker als früher. Mein Leben ist lebenswerter.“ Das sagt meine Freundin Petra heute, gut fünf Jahre nach ihrer Brustkrebsdiagnose. „Der Krebs war das Beste, was mir passieren konnte.“

Damals freilich brach für sie eine Welt zusammen – als der Frauenarzt beim Blick auf die Delle in ihrer rechten Brust sagte: „Das ist nichts Gutes.“ Die Mammographie und eine Gewebeentnahme eine Woche später brachten die bittere Gewissheit. Vier Zentimeter groß war der Tumor bei der Diagnose schon. „Natürlich hab´ ich schon lange gemerkt, dass da etwas ist“, meint Petra, „aber ich wollte es nicht wahrhaben.“ Sie war gerade 48 Jahre alt geworden, hatte zwei halbwüchsige Kinder, Stress mit dem Mann, einen neuen Job und eine demente Mutter, deren Umzug ins Heim sie organisieren musste. Keine Zeit, sich auch noch um einen Arzttermin für sich selbst zu kümmern. Im Nachhinein kann sie es kaum fassen.

Nach der Diagnose folgten endlose weitere Untersuchungen und Vorgespräche, schließlich ein halbes Jahr Chemotherapie. „Einige Ärzte haben mir nicht viel Hoffnung gemacht“, erzählt Petra. Der Krebs war schon weit fortgeschritten: Um ihn erfolgreich operieren zu können, musste er sich durch die Chemotherapie erst einmal verkleinern. Wochenlange Übelkeit, die Haare fielen mittags büschelweise in die Suppe, ihr Sohn rasierte ihr den Kopf. In Fingern und Füßen verlor sie das Gefühl. Obwohl sie nach der Chemo oft tagelang mit Schwindel und bleierner Müdigkeit kämpfte, organisierte sie während dieser Zeit noch die Konfirmation ihres Sohnes. „Das Schlimmste für mich war diese Wahnsinns-Panik, dass ich für meine Kinder nicht mehr da sein könnte“, erzählt sie von den ersten Behandlungswochen. „Als sich herausgestellt hat, dass die Chemotherapie anschlägt, habe ich einen Freudensprung gemacht.“

Ein neuer Lebensplan

Von ihrem Mann kam während der ganzen Zeit kaum Unterstützung: „Oft saß ich nach der Chemo abends total geschafft allein zu Hause und sollte mich noch um den Haushalt kümmern.“ Auch von den Eltern oder Schwiegereltern war keine Hilfe zu erwarten, nicht einmal etwas Trost oder Mitgefühl. Gerettet haben sie ihre Freundinnen, sagt Petra: „Es war immer jemand da, der mich zur Untersuchung begleitet hat, als Fahrdienst eingesprungen ist oder für mich und die Kinder gekocht hat. Das war ein großes Geschenk, das hätte ich mir vorher nicht träumen lassen.“

Körperlich sei sie in dieser Zeit sehr schwach gewesen, erinnert sich Petra, „aber mental war ich nie schlecht drauf.“ Sie fing an, mehr für sich zu machen: Sie nahm Gesangsstunden, ging zur Psychotherapie und trotz Erschöpfung so oft wie möglich mit einer Freundin in die Berge. Und sie begann, sich aus ihrer lieblosen Ehe zu lösen. Noch während der Chemotherapie ließ sie sich einen Termin bei einer ehrenamtlichen Trennungsberatung geben: „Mir wurde klar: Wenn ich weiterleben will, muss ich mich von meinem Mann trennen.“ Jahrelang hatte sie in der scheinbar ausweglosen Situation verharrt, immer versucht, die Beziehung zu retten, obwohl ihr Mann ihr längst die Gefühle aufgekündigt hatte. Eine Trennung schien ihr wirtschaftlich unmöglich, sie verdiente nur wenig eigenes Geld. „Ich bin überzeugt“, sagt sie heute, „dass mein psychischer Zustand mitverantwortlich für die Krebserkrankung war.“

Diese Erkenntnis schenkte ihr eine unglaubliche Energie. Als sie aus dem Krankenhaus kam, suchte sie per Zeitungsanzeige nach einer Wohnung für ihren Mann. Ein paar Wochen später, noch während der Strahlentherapie, zog er aus. 

„Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich das hinter mir habe“, erklärt Petra. Ohne die Krebserkrankung, da ist sie sich ganz sicher, würde sie heute noch in ihrer unerfreulichen Beziehung festhängen. „Ich gehe heute mit viel mehr Nachdruck meinen Bedürfnissen nach, weil ich weiß, wie endlich das Leben ist.“ Die Angst vor einem Rückfall ist groß. Schon zweimal ergab sich bei der Nachsorge ein unklarer Befund, „da habe ich sofort Rotz und Wasser geheult.“ Zum Glück fand sich kein neuer Tumor. Medizinisch gilt sie heute, fünf Jahre nach der Diagnose, als geheilt.

An Persönlichkeit gewonnen

Inzwischen hat Petra einen Job, der ihr viel Spaß macht, und steht finanziell auf eigenen Beinen. Sie führt ein selbstbestimmtes Leben, das sie sich auf keinen Fall mehr nehmen lassen will, sagt sie. Auch in ihrer neuen Beziehung achtet sie sehr auf sich und ihre Wünsche – und wenn ihr etwas nicht passt, spricht sie es mit deutlichen Worten an. „Ich bin härter als früher“, meint sie, korrigiert sich aber gleich: „Nein, ich bin bloß nicht mehr bereit, meine Bedürfnisse hinter die anderer zu stellen.“

Auch äußerlich hat sich Petra durch die Krankheit gewandelt. Nicht nur die Frisur: Ihre langen braunen Haare sind einem schicken Kurzhaarschnitt gewichen. Mittlerweile mag sie sich die Haare auch nicht mehr färben; das Graumelierte steht ihr ausgesprochen gut. Der resignierte Zug um die Lippen und der müde Blick, den sie vor ihrer Erkrankung oft gehabt hat, sind aus ihrem Gesicht verschwunden. Wenn wir uns treffen, bin ich immer wieder aufs Neue fasziniert von ihrer unglaublich klaren und positiven Ausstrahlung. Sie weiß: „Der Krebs hat mich in meiner Persönlichkeit vorangebracht.“ Von der Stärke und Lebensweisheit meiner Freundin würde ich mir manchmal gerne eine Scheibe abschneiden.

2 Gedanken zu „„Der Krebs war das Beste, was mir passieren konnte““

  1. Was für eine tolle und starke Frau.
    Ja, man muss auf seinen Körper und die eigenen Bedürfnisse achten!
    Ich drücke ihr die Daumen, dass sie hoffentlich gesund bleibt und ihr Leben endlich in vollen Zügen genießen kann!

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