In ihrem „früheren Leben“ war Bettina Finanzbuchhalterin. Heute verdient sie ihr Geld als Fotodesignerin und Bloggerin. Als „die Alltagsfeierin“ hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, kleine Glücklichmacher zu sammeln. Täglich inspiriert sie ihre vielen tausend Follower, leichter und mutiger durchs Leben zu gehen. „Druck raus, Lebensfreude rein“, ist ihr Motto.
Wofür ihre Fans sie besonders lieben, ist ihre Authentizität. Bettina weiß, dass das Leben nicht nur Sonnenschein zu bieten hat. Seit vielen Jahren leidet die 45-Jährige an chronischen Depressionen. Daraus macht sie kein Geheimnis. Im Rückblick, sagt sie, fing das schon in ihrer Jugend an, „aber damals wurde vieles vertuscht und totgeschwiegen“. Als Bettina zwölf war, starb ihre Großmutter, ihre wichtigste Bezugsperson. „Das Loch, in das mich das gestürzt hat, war kilometertief.“
Drei Kinder unter drei
Bettina schaffte es, sich zusammenzureißen und wieder zu funktionieren – wie noch viele weitere Male in ihrem Leben. Leistung bringen, alles im Griff haben, das war für sie von immenser Bedeutung. Familie und Kinder gehörten zu ihren Lebenszielen, „um den Mangel, den ich als Kind so gespürt habe, zu füllen“. Mit 25 wird sie Mutter, das Glück scheint perfekt. Keine zwei Jahre später folgen ihre Zwillinge. „Drei Kinder unter drei, dazu ein Hausbau und der Umzug in eine neue Stadt“, erzählt sie, und schon beim Zuhören wird der Druck greifbar, unter dem sie stand. Dazu arbeitet sie halbtags als Buchhalterin im Mahnwesen bei einer US-amerikanischen Firma. Unter der Woche ist sie quasi alleinerziehend – ihr Mann ist von Dienstag bis Freitag in der Regel geschäftlich unterwegs. Als die Mädchen in den Kindergarten und die Schule kommen, wuppt sie Elternabende, nachmittägliche Termine wie Ballettstunden, Musikunterricht und Taekwondo, betreut die Hausaufgaben, organisiert Kindergeburtstage und Wohltätigkeitsveranstaltungen und übernimmt – es ist noch immer nicht genug – diverse Ehrenämter.
Die Angst zu versagen

Der Zusammenbruch kam 2012. „Ich konnte nicht mehr reden und nichts mehr essen, ich lag nur noch im Bett und habe geheult. Drei Tage lang. In meinem Kopf tobte mein innerer Kritiker und hat mich mit seiner Dauerbeschallung in den Wahnsinn getrieben.“ Sie schafft es noch einmal, die Maske wieder aufzusetzen, und schleppt sich wieder ins Büro: „Noch kraftloser als vorher und noch verzweifelter, aber ich wusste, dass ein solcher Aussetzer nicht zur Regel werden durfte.“ Zu ihrer tiefen Traurigkeit und Erschöpfung gesellen sich noch Magen-Darm-Probleme; sie nimmt in wenigen Monaten 20 Kilo ab. „Ich wollte eigentlich nur noch in einem Loch verschwinden. Ich war davon überzeugt, dass es für meine Familie dann besser werden würde, denn das Problem war ja schließlich ICH.“ Ihr Verantwortungsgefühl zwingt sie zum Weiterleben und Weitermachen.
„Ich hatte immer eine Riesenangst, als Mutter zu versagen“, sagt Bettina. Innerlich fühlt sie sich komplett am Ende, zerfleischt sich für jede schlechte Schulnote in Selbstvorwürfen, liegt abends oft nur noch weinend am Sofa. Nach außen stimmt die Fassade: „Die Maske saß bombenfest. Tagsüber habe ich jahrelang funktioniert wie ein Roboter.“ Nur noch ein bisschen mehr zusammenreißen, dann muss das doch alles zu schaffen sein. Dachte sie.
Acht Monate Klinik
Und doch, sagt sie, hat dieser Tiefpunkt etwas ins Rollen gebracht. Sie findet eine Psychologin, von der sie sich verstanden fühlt. Eine Internistin aber ist es, die nach einer Magen-Darm-Spiegelung zum ersten Mal ihre Krankheit beim Namen nennt: schwere Depressionen. Sie legt ihr dringend einen Klinikaufenthalt ans Herz. „Aber wie hätte ich das machen sollen mit drei Kindern und einem Mann, der ständig unterwegs ist?“ Angeregt durch eine Fernsehsendung findet sie schließlich eine psychosomatische Tagesklinik in der Nähe. Die perfekte Lösung, so schien es ihr: tagsüber in der Klink, abends wieder zu Hause bei den Kindern. Mit Hilfe einer Tagesmutter und einer Familienpflegerin ließ sich das umsetzen.
Der Anfang ist gemacht – auch wenn Bettina nach drei Monaten Tagesklinik noch lange nicht wieder so perfekt „funktioniert“, wie sie das geplant hatte. Es folgen weitere drei Monate in vollstationärer Behandlung, in denen sich die Kinderbetreuung dann doch mit dem Jahresurlaub des Mannes, flexibleren Arbeitszeiten und einer sehr engagierten Tagesmutter organisieren ließ. In der Klinik fühlt sie sich gut aufgehoben, sie entdeckt ihre Kreativität neu und erholt sich Schritt für Schritt. „Und dann hat das Schicksal wieder dazwischengefunkt“, erzählt Bettina. Bei ihrer besten Freundin wurde ein Krebs-Rückfall festgestellt, wenige Wochen später stirbt sie. „Ich habe sie bis zum Schluss begleitet“, sagt Bettina leise, der Schmerz steht ihr noch ins Gesicht geschrieben. Fast gleichzeitig erfährt sie, dass ihr Job wegrationalisiert werden soll; zur Trauer um ihre Freundin kommen schwere Existenzängste. „Ich habe mich gefühlt, als läge ein Berg von Steinen auf mir.“ Wieder ein Zusammenbruch, noch einmal ein Klinikaufenthalt.
Der Weg aus der Depression
Wieder zuhause, wird sie engmaschig von einer Psychologin betreut. „Zum ersten Mal konnte ich mir die Zeit geben, die ich brauchte, um gesund zu werden.“ In Minischritten ging es bergauf, erinnert sie sich. Als „ersten Einstieg in die Normalität“ bezeichnet Bettina ihren Instagram-Account, auf dem sie 2015 anfängt, täglich Bilder von ihren persönlichen kleinen Glücksmomenten zu posten. Anfangs ist das meist ihr morgendlicher Kaffee, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Ein Jahr später beginnt sie ihren Blog diealltagsfeierin, es kommen erste Anfragen für Foto- und Werbeaufträge. Sie entscheidet sich, den neuen Weg professionell zu verfolgen, absolviert ein Fernstudium zur Fotodesignerin, kann endlich ihren Kräften gemäß arbeiten und sieht mit Freude zu, wie positiv sich alles entwickelt.

Bis ihr das Leben wieder einen Knüppel zwischen die Beine wirft: Ihr Vater stirbt nach kurzer, heftiger Krankheit. Inzwischen hat sie jedoch gelernt gegenzusteuern, damit sie nicht ganz so weit in das tiefe schwarze Loch abrutscht. Sie weiß, was ihr guttut, was sie in schlechten Momenten auffangen kann. Meditationen gehören dazu, ätherische Öle, Sport, frische Luft, Freundschaften – und bei Bedarf auch Medikamente. Ihren Notfallkoffer, nennt sie das.
„Zu sagen, ‚Ich habe Depressionen‘, das ist mir jahrelang unendlich schwergefallen“, gibt sie zu. Depressionen seien nicht gesellschaftsfähig, werden oft nicht als die Krankheit akzeptiert, die sie sind, sondern eher als „Befindlichkeit“ abgetan. Wer Depressionen hat, ist „zu schwach für diese Welt“ und „muss sich einfach mal zusammenreißen“. Immer wieder stieß sie auf solche Äußerungen. „Inzwischen gestehe ich mir zu, das Gespräch dann zu beenden.“
Neue Wege schaffen neue Energie
Sich zurückzuziehen, wenn sie es braucht, das Leben leichter zu nehmen und Genuss zu zelebrieren – das hat sie in ihrem langen Prozess der Genesung gelernt. Dabei geholfen hat ihr das „Human Design System“ (mehr darüber findest du hier oder auf Bettinas Blog), das mit spirituellen und naturwissenschaftlichen Elementen die Fähigkeiten und Potenziale eines Menschen bildhaft aufzeigt. „Das hat vieles greifbar für mich gemacht. Zum Beispiel, dass ich extrem viel Rückzug brauche und warum ich so empfindlich auf Druck reagiere.“ Zu leben, wie es ihrem Wesen und ihrem Energielevel entspricht, gebe ihr „Power ohne Ende“ – genau das, was ihr so viele Jahre gefehlt hat. Mit ihren persönlichen Erfahrungen und dem Human Design hilft sie inzwischen auch anderen, ihre individuellen Stärken zu erkennen und zu nutzen.
Bettina wirkt heute wie ein Mensch, der mit sich selbst im Reinen ist und tiefenentspannt ihren ureigenen Weg verfolgt. „Ich fühle mich bei mir selbst angekommen“, meint sie. Dennoch weiß sie, dass sie das graue Gespenst der Depression vermutlich nicht mehr ganz loswerden wird. „Aber ich habe genug Handwerkszeug, um die nächste Krise meistern zu können.“ Sie sei dem Leben sehr dankbar, sagt sie – dafür, dass es ihr neben all den dunklen Seiten auch immer wieder einen Lichtblick präsentiert hat.
(Fotos: privat; wechselleben)
Falls du den Eindruck hast, du könntest selbst an Depressionen leiden, findest du hier Infos und Hilfe:
Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Info-Telefon Depression: 0 800 / 33 44 533
Liebe Bettina, Liebe Clara,
Bettina ich kenne Dich ja persönlich und Du hattest mir damals auf der Blogst in Köln etwas wichtiges Gesagt. Das möchte ich nicht wiederholen, aber es blieb in mir haften und meine Therapeuten in der KLinik auf Usedom hatten das auch schon erkannt. „NUR ICH NICHT“. Obwohl ich ja da wegen meiner HWS zur Reha war.
Funktionieren ist das Stichtwort. Ja, ich habe nur funktoniert in den letzten 30 Jahren und je mehr ich dachte, ich funktioniere gut, dann wird auch alles gut.
Nein, eben nicht. Irgendwann ging es nicht mehr und ich folgte dem Rat einer ganz lieben Arbeitskollegin.
Die das alles schon hinter sich hatte. Sie fing mich auch einen Tag in der Firma auf, an dem nichts mehr gin.
Panikattaken dachte ich… Nein, mein Therapeut sagte mir in einem Gespräch: “ Depressionen“ und erklärte mir
den Unterschied.
Mein Therapieantrag liegt jetzt bei der Krankasse und ich hoffe, das meine Langzeittherapie genehmigt wird.
Meine 8 Therapiestunden vorweg, dort merkte ich schon, wie mir das hilft.
Danke euch beiden, das Ihr so offen darüber schreibt, denn ich möchte nicht wissen, wie die Dunkelziffer wirklich ist. Nur weil man, so wie ich auch, Angst hat zum Arzt zu gehen.
Ganz liebe Grüße
Elke
Liebe Elke, ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass deine Langzeittherapie schnell genehmigt wird und es dir bald besser geht. Toll, dass du diesen wichtigen Schritt schon geschafft hast!
Ja, darüber reden ist so wichtig, um das Verständnis für diese Krankheit zu verbessern, sowohl für die Betroffenen als auch für Angehörige und Freunde. Ich war vor einigen Jahren auch selbst betroffen und habe mich sehr alleine gefühlt. Ich wünsche dir alles Liebe und Gute und ganz viel Kraft für deinen Weg!
Liebe Grüße
Clara
Liebe Clara, liebe Bettina,
ich finde es so unsagbar wichtig, dass ihr dieses so wichtige Thema hier zeigt und auch zeigt, wieviel Hilfe und Arbeit nötig ist, um wieder in Balance (blödes Wort) zu kommen. Denn es ist eben nicht mit einem Schulterklopfen abgetan, sondern geht so viel tiefer. Und es schwebt wahrscheinlich wirklich immer über einem. Ich bin ja ohnehin Bettinafan und ich bewundere sie für ihren Weg, für ihre Authenzität und ihre echte Bereitschaft, Gutes zu tun und zu teilen.
Ich bin froh, dass wir mittlerweile in einer Zeit leben, wo man über diese Dinge sprechen kann, sich Hilfe holen kann. Obwohl ich immer wieder erlebe, dass gerade unsere Generation sich doch noch schwertut. Weil einfach auch zu viel verglichen und von vermeintlicher Leistung abhängig gemacht wird.
Vielen Dank für diesen offenen und zugleich auch optimistischen Bericht.
Liebe Grüße
Nicole
Liebe Nicole, vielen Dank! Ich finde es auch toll, dass Bettina so offen über ihre Erkrankung spricht und anderen damit Mut macht. Leider sind Depressionen für viele immer noch ein Grund, sich zu schämen und sich minderwertig oder nicht leistungsfähig genug zu fühlen. Aber ohne professionelle Hilfe kommt wirklich kaum jemand aus diesem Loch wieder heraus.
Liebe Grüße
Clara