Sind die Wechseljahre eine Krankheit?

Menschen mit Diabetes spritzen sich Insulin, wenn ihre Bauchspeicheldrüse nicht mehr ausreichende Mengen davon ausschüttet. Bei einer Unterfunktion der Schilddrüse wird das fehlende Thyroxin durch Tabletten ersetzt. Und wenn die Eierstöcke in den Wechseljahren nicht mehr genügend Sexualhormone produzieren, bekommt man entsprechend ein Östrogenpräparat verschrieben. Logisch, oder?

Nein. Denn die sinkenden Hormonspiegel in den Wechseljahren sind – anders als bei Diabetes oder einer Schilddrüsenfehlfunktion – keine Krankheit: Sie sind von der Natur so vorgesehen. In erster Linie, um ältere Frauen vor einer Schwangerschaft zu schützen. In der Evolution hat sich das offenbar als Vorteil erwiesen, weil dadurch Kräfte für die Betreuung der nachfolgenden Generationen freiwerden. (Mehr darüber liest du im Beitrag „Wechseljahre: Wo liegt der Sinn?“) Dass die Sexualhormonspiegel nach der Menopause niedrig sind, ist also völlig normal – ebenso normal und natürlich wie bei Kindern vor der Pubertät.

Die Wechseljahre sind kein Hormonmangelzustand

Inzwischen hat sich diese Erkenntnis zum Glück weitgehend durchgesetzt. Viele Mediziner halten deshalb auch den Begriff „Hormonersatztherapie“ für irreführend. Es geht ja nicht darum, fehlende Hormone zu ersetzen – sondern lediglich um die Linderung von Hitzewallungen und anderen Beschwerden. 

Als in den 1960er-Jahren die ersten Östrogenpräparate für Frauen in den Wechseljahren aufkamen, sahen das die meisten Gynäkologen noch ganz anders. Innerhalb von wenigen Jahren feierte die „Hormonersatztherapie“ einen Siegeszug ohnegleichen. Sie wurde als Jungbrunnen und Lifestyle-Behandlung angepriesen, sollte vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose schützen. Fast jede Frau in den Wechseljahren bekam sie verschrieben – oft über mehrere Jahrzehnte. Die „Hormonmangelerkrankung“ Wechseljahre war für die Pharmaindustrie ein lukratives Geschäftsmodell.

Das ist sie auch heute noch. Viele Ärztinnen und Ärzte sehen die Hormontherapie mittlerweile aber kritischer. Inzwischen ist klar, dass sie – wie jedes Medikament – auch Nebenwirkungen hat. Dazu gehört vor allem das leicht erhöhte Brustkrebsrisiko. Zum Glück lassen sich einige Nebenwirkungen durch moderne Anwendungsformen, zum Beispiel über die Haut, und bioidentische Hormone deutlich verringern. Anders als früher gilt heute bei einer Hormontherapie außerdem der Grundsatz: So niedrig dosiert wie möglich und nur so lange wie nötig. Damit halten sich eventuelle Risiken nach den bisherigen Erkenntnissen in Grenzen.

Nicht alle Frauen leiden unter der Hormonumstellung

Und unter diesen Voraussetzungen hat die Hormontherapie auch ihre Berechtigung. Denn selbst wenn die Wechseljahre keine Krankheit sind, fühlen sie sich für viele Frauen doch so an: Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Nebel im Kopf und Gelenkschmerzen – um nur ein paar der vielen möglichen Symptome zu nennen – können einem das Leben wirklich schwermachen. Anders als beispielsweise bei der Zuckerkrankheit leiden aber in den Wechseljahren nicht alle Frauen gleich stark am Rückgang der Hormone. Es scheint vielmehr so zu sein, dass die hormonellen Veränderungen Beschwerden auslösen können, wenn der Körper und die Psyche dafür aufgrund anderer Faktoren anfällig sind. In Kulturkreisen, in denen ältere Frauen ein höheres Ansehen und mehr Wertschätzung genießen, haben sie viel weniger Probleme in den Wechseljahren. Auch die Ernährung hat großen Einfluss. Das belegen Studien.

Trotzdem kann eine Hormontherapie – nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile – für manche Frauen sinnvoll sein, wenn sie sich sehr stark durch ihre Wechseljahresbeschwerden beeinträchtigt fühlen. So, wie man eine Schmerztablette nimmt, wenn man Kopfschmerzen hat. Nicht, weil es besser für die Gesundheit ist (auch wenn das manche Ärzte immer noch so sehen). Sondern weil es eine normale hormonelle Umstellungsphase kurzfristig leichter erträglich machen kann.

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